Methoden der empirischen Sozialforschung

Hindernisse und Potentiale für die Berufstätigkeit bei teilweiser Erwerbsminderung. Eine Typologie der Arbeitsbeziehungen zwischen Arbeitgebern und gesundheitlich beeinträchtigten Personen (ERMTYP)

Das Projekt wird von Dr. Jannis Hergesell und Prof. Dr. Nina Baur geleitet und hat zum Ziel, Hindernisse und Potentiale für die Berufstätigkeit von gesundheitlich beeinträchtigten Arbeitnehmern zu untersuchen. Geplant ist die Entwicklung eines auf die gesamte Bundesrepublik verallgemeinerbaren theoretischen Modells darüber, welche Faktoren die Arbeitsmarktintegration (Neueinstellung und Fortsetzung von stabilen Arbeitsbeziehungen) von Menschen behindern und fördern, die aufgrund von gesundheitlichen Beeinträchtigungen (teilweise) erwerbsgemindert sind. Dabei liegt der Fokus auf den Anforderungen der Arbeitgeber an die Arbeitsbeziehungen mit erwerbgeminderten Personen. Herausgearbeitet werden soll, welche konkreten, alltagsweltlichen Überlegungen der Arbeitgeber für oder gegen eine Weiterbeschäftigung oder Neueinstellung empirisch vorzufinden sind.

Denn obwohl (teilweise) erwerbsgeminderte Personen oftmals hochqualifiziert sind, zahlreiche Rehabilitationsmaßnahmen sowie Arbeitsmarktintegrationsangebote bestehen, sind (vor allem ältere) gesundheitsbedingt leistungseingeschränkte Menschen im Vergleich zur nicht-beeinträchtigten Bevölkerung deutlich häufiger arbeitslos. Darüber hinaus schaffen die gute Konjunktur des Arbeitsmarktes und besonders der allgemeine Anstieg von für erwerbsgeminderte Menschen attraktiven Teilzeitarbeitsplätzen (atypische Beschäftigungsverhältnisse) eigentlich beste Voraussetzungen für eine Arbeitsmarktintegration.

Die Gründe für die insgesamt hohe Arbeitslosigkeit gesundheitlich beeinträchtigter Menschen und vor allem für die geringe Zahl von Neueinstellungen von Erwerbsminderungsrentnern mit Restleistungsvermögen liegen demnach weniger in konjunkturellen Bedingungen, sondern im sozialen Umgang mit erwerbsmindernden, gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Arbeitsalltag. Dabei ist die zentrale Voraussetzung für eine stabile, langfristige Einstellung erwerbsgeminderter Mitarbeiter die Bereitschaft der Arbeitgeber, diese zu beschäftigen. Jedoch sind die Vorstellungen der Arbeitgeber darüber, wie eine erfolgreiche Arbeitsbeziehung mit erwerbsgeminderten Menschen ausgestaltet sein sollte, weitestgehend unbekannt.

Daher fokussiert das Projekt auf die Perspektive von Arbeitgebern. Zusätzlich wird das soziale Umfeld (wie Kollegen, Integrations- oder BEM-Beauftragte, Betriebsärzte usw.) miteinbezogen und so die sozialen Dimensionen der Arbeitsmarktintegration gesundheitlich beeinträchtigter Arbeitnehmer berücksichtigt.

Das Forschungsprojekt ist als explorative, qualitative Interviewstudie angelegt. Untersucht werden anhand einer bewussten Fallauswahl nach dem Streuungsprinzip zwei besonders vom Arbeitskräftemangel betroffene Branchen: die Automobilwirtschaft und die Pflegebranche. Diese Arbeitsfelder sind strukturell auf mehreren Ebenen (z.B. Betriebskulturen, Arbeitsorganisation, Gesundheitsrisiken, Integrationspotentiale) verschieden und eignen sich daher in besonderem Maße dafür, durch einen kontrastierenden Vergleich, eine große Bandbreite von Problemlagen zu identifizieren.

Die Ergebnisse werden in Form einer Typologie von Arbeitsbeziehungen erwerbsgeminderter Personen zusammengefasst werden, die als Grundlage für Handlungsempfehlungen zur Arbeitsmarktintegration genutzt werden kann.

Laufzeit

2019 – 2023

Ansprechpartnerin

Prof. Dr. Nina Baur

Tel.: +49 (0)30 / 314 - 78547

E-mail:

Publikationen

Hergesell, Jannis (2022): Prozessorientierte betriebliche Gesundheitsforschung. Integration bei bedingter Gesundheit im Arbeitsalltag. ZQF – Zeitschrift für Qualitative Forschung, 2-2022, S. 245-261.

Hergesell, Jannis/Uloth, Vanessa/Fauth, Peter/Baur, Nina (2022): Return-to-Work unter pandemischen Bedingungen. Langfristiger Wandel von gesundheitsförderndem Führungsstil und Case-Management? In: Deutsche Rentenversicherung (Hrsg.): 31. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium Deutscher Kongress für Rehabilitationsforschung. Neue Wege, neue Chancen, S. 262-264.

Hergesell, Jannis (2021): “Und dann verzichte ich lieber auf den chronisch Kranken…“ Stay at- und Return to Work in der betrieblichen Praxis. In: 2021/5: 180-184.

Hergesell, Jannis/Albrecht, Jana (2021): Integration als betriebliche Routine. Organisationssoziologische Perspektiven auf alltägliche Integrationsprozesse. In: Sozialer Fortschritt 70(3), S. 111-129

Hergesell, Jannis/Akremi, Leila (Gastherausgeberschaft) (2021): Arbeitsmarktintegration im Alltag. Zeitschrift für Sozialer Fortschritt 70(3).

Hergesell, Jannis (2020): Emotionale Involvierung von Vorgesetzten als Risiko für (Wieder)Eingliederungsprozesse. In: Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht, Beitrag D24-2020.

Hergesell, Jannis/Baur, Nina (2020): Anforderungen von Arbeitgebern an die Arbeitsmarktintegration von (teilweise) erwerbsgeminderten Arbeitnehmer*innen. In: Deutsche Rentenversicherung (Hrsg.): 29. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium Deutscher Kongress für Rehabilitationsforschung. Prävention und Rehabilitation – der Betrieb als Partner. Berlin, S. 290-292.

Hergesell, Jannis/Baur, Nina (2019): Hindernisse und Potentiale für die Berufstätigkeit bei teilweiser Erwerbsminderung. Eine Typologie der Arbeitsbeziehungen zwischen Arbeitgebern und gesundheitlich beeinträchtigten Personen (ERMTYP) – Projektbeschreibung; gefördert von der Deutschen Rentenversicherung Bund, Laufzeit 2019-2023, Berlin 2019.

Hergesell, Jannis (2019): Forschungsstand Erwerbsminderungsrente. Eine qualitative Metaanalyse. In: Zeitschrift der Deutschen Rentenversicherung. In: Deutsche Rentenversicherung 2/2019, S. 150-171

Vorträge

03/2022 “Return-to-Work unter pandemischen Bedingungen. Langfristiger Wandel von gesundheitsförderndem Führungsstil und Case-Management?” Vortrag mit Nina Baur, Vanessa Uloth und Peter Fauth auf dem 31. Hybriden Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquium “„Rehabilitation: Neue Wege. Neue Chancen“, Münster

02/2022 „Betriebliche Integrationsprozesse. Integrationsroutinen und Schlüsselakteure im Arbeitsalltag“, Vortrag mit Nina Baur auf der online Jahrestagung „Die soziale Sicherung der Erwerbsminderung: Entwicklungen, Status quo und Perspektiven“ des Forschungsnetzwerkes Alterssicherung der Deutschen Rentenversicherung Bund.

03/2021 „Herausforderungen der Mitarbeiterführung während betrieblicher Return-to-Work-Prozesse“, Vortrag mit Baur, Nina/Uloth, Vanessa/Fauth, Peter, (digitales) 20. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium.

03/2021 „Betriebliches Gesundheitsmanagement in Krisenzeiten. Auswirkungen der „Coronakrise“ auf Return to Work-Prozesse“, Gesundheitssystem der Zukunft – Zukunft der Gesundheit: alles neu nach Corona?, digitaler hybrider Dreiländerkongress 2021.

12/2020 "Zum Potential organisationssoziologischer Perspektiven auf Arbeitsmarktintegration. Ostentative und performative Aspekte betrieblicher Integrationsprozesse“, Vortrag mit Jana Albrecht, (digitale) Tagung „Arbeitsmarktintegration im Alltag. Inklusionsbedarf von gesundheitlich beeinträchtigten und anderen benachteiligten Arbeitnehmer*innen“, Technische Universität Berlin.

01/2020 „Integration zwischen Arbeitsalltag und betrieblicher Organisation. Methodologische Herausforderungen bei der Untersuchung von Integrationsroutinen“, Vortrag mit Jana Albrecht, Forschungskolloquium des Arbeitsbereiches ‚Mikrosoziologie‘, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Veranstaltungen

02.–04.12.2020, Online-Tagung „Arbeitsmarktintegration im Alltag. Inklusionsbedarf von gesundheitlich beeinträchtigten und anderen benachteiligten ArbeitnehmerInnen“, Technische Universität Berlin, Institut für Soziologie.